Telematik-Infrastruktur (TI) – ein Schildbürgerstreich!

16.7.2019 * Seit Ende 2018 werden alle Praxen von niedergelassenen Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten mit den Geräten für die Telematik-Infrastruktur versehen. Bringt das wirklich was? Bei den meisten ist die Umrüstung schon passiert oder wird in den nächsten Monaten erledigt. Die Grundausrüstung für eine Praxis mit einer Person kostet ca. 3000 €. Die monatliche Wartung kostet ca. 80 €.  Die Zahl der niedergelassenen Psychotherapeuten betrug 2014 etwa 23.000.  Ich errechne da 69 Mill. € nur für die Grundausstattung, Wartungskosten gut 20 Mill. € pro Jahr.  Schauen wir mal nach dem Nutzen:

  • aktuell einzige Anwendung ist das „Versichertenstammdatenmanagement“ (d. h. einmal pro Quartal wird die Versichertenkarte online geprüft – stimmen die Daten noch? Ist die Karte gültig?) Braucht man das in der psychotherapeutischen Praxis? Ich meine Nein. Die meisten Patienten gehen nicht nur zum Psychotherapeuten, sondern auch zu anderen Ärzten. Dort fallen viel mehr Patienten an als bei Psychotherapeuten. Es würde völlig ausreichen, wenn das Versichertenstammdatenmanagement dort durchgeführt wird, was ja sowieso passiert. Ohnehin ist diese Anwendung nur für die Krankenkassen von Vorteil, weder für Ärzte noch für Patienten. In den nächsten Jahren sollen eingeführt werden:
  • Notfalldaten wie z. B. die Blutgruppe, Allergien etc. – brauchen wir das in der psychotherapeutischen Praxis? Dürfte kaum je vorkommen.
  • Elektronischer Arztbrief – wäre nützlich, aber nicht zwingend. Ich kann mir nur wenige Fälle vorstellen, in denen in einer psychotherapeutischen Praxis ein Arztbrief bzw. ein Bericht von mir beim Kollegen sofort gebraucht wird.
  • Speicherung von Berichten wie Entlassungsberichten. Ich würde meinen Patienten dringend davon abraten, ihre Dokumente mit psychiatrischen oder psychotherapeutischen Inhalten an einer Stelle zu speichern, wo jeder Arzt drankommt.* Wollen Sie wirklich, dass der Arzt weiß, dass Sie als Kind zigmal von Ihrem Vater vergewaltigt worden sind?, dass Sie früher mal Ihre Frau geschlagen haben?, dass Sie wegen Depressionen Ihren Arbeitsplatz verloren haben? Manchmal mag das nötig sein, aber dann könnte man das auf anderen Wegen genausogut oder besser machen. Ohnehin bekommen inzwischen Patienten in psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken ihre Entlassberichte zugeschickt, haben sie also zur Verfügung und können so selbst entscheiden, wem sie die Berichte geben wollen.

Fazit: Keine der geplanten Nutzungen bringt in psychotherapeutischen Praxen wirklich einen Vorteil. Viel Geld zum Fenster hinausgeworfen. Die Kosten werden übrigens von den Krankenkassen bezahlt, sprich: durch Ihre Versichertenbeiträge. Man könnte das Geld nützlicher verwenden.

* Ja, ja ich weiß – es bedarf der Zustimmung des Patienten dazu, dass der Arzt Zugriff auf die Daten bekommt. Ich wette aber, dass das genauso läuft wie heute bei Aufklärungen vor Ops, Datenschutz-Erklärungen etc.: „Unterschreiben Sie bitte mal gerade hier!“ bzw. „Stecken Sie jetzt bitte Ihre Karte hier rein und geben Ihre PIN ein – danke!“ und schwupps, ist der ganze Inhalt im Praxissystem des Arztes.

P. S.: Ich habe versucht, im Internet die Kosten für die Telematik-Infrastruktur zu recherchieren. Man findet reichlich Seiten, die die Kosten für den einzelnen Arzt angeben und deren Erstattungsmöglichkeiten. Die Gesamtkosten der Einführung der TI für die Krankenkassen/die Allgemeinheit habe ich nirgends gefunden (nur einmal eine Anmerkung, sie wären nicht abschätzbar). Ein Schelm, wer hier Böses denkt.